Montag, 29. November 2010

Identitätskrise

Kassiererin, gottgleich in deinem Sessel trohnend, was wagst du mich nach meiner Identität zu fragen! Zwar steh ich hier an der Kasse und erbitte gnädigst die überteuerten Waren zum Preis ca. 50 Euro (geschätzte Produktionskosten 2,50 Euro) zu erstehen, reiche willig meine hässliche rötlich-rosa EC-Karte (für die ich mich stets irgendwie schäme und deren Sparkassendesigner oder wie auch immer er sich schimpfen mag ich heute noch verfluche), doch statt zu sagen „sehr wohl geehrter Herr Kunde, es ist mir eine Ehre“ fragst du Stasischnepfe ob ich mich denn ausweisen könne. Ich nehme an mein Blick spricht Bände. Zwar bin ich vorbereitet auf die Frage nach der Postleitzahl, bin bereit den Kopf schütteln, bin bereit eventuell auf zweite Nachfrage zu sagen, dass ich die mal lieber für mich behalte, aber auf das? So bleibt wohl nicht mehr als ein leicht angewidertes, verblüfftes „äh“ meinerseits. „Personalausweis?“ - „Ja warum denn?“ - „Führerschein?“ - „äh“. Ja, meine liebe Frau Kassiererin, wollen sie mich jetzt entfernen lassen aus dem Markt, bin ich nicht seriös genug in meinen abgetragenen Jeans, meiner ausgewaschenen Jacke und mit meinem mit Klebeband reparierten Geldbeutel? Bin ich verdächtig weil ich mehrfach an den Netbooks vorbeigelaufen bin, sie alle betatscht, mich lautstark über deren allgegenwärtige neue Klarlackplastikoptik aufgeregt und all ihre Designer verflucht habe? Steht deswegen auch schon der Securityork kurz vor Schlagweite? Vielleicht sind sie ja auch noch nicht ganz angekommen in ihrem neuen Beruf nach der Wende, lechzen sie nach Kontrolle und Macht? Papiere, aber dalli. „Woher weiß ich, dass das ihre Karte ist? Zeigen sie doch mal ihren Ausweis her“ - „Die PIN ist die Identifikation“ - „Die wird auch nur mit der Post verschickt, woher will man wissen, dass die nicht abgefangen wurde?“. Das mit dem Postgeheimnis ist natürlich was neues hier denke ich und wundere mich dass ich jetzt doch auf einmal ohne Papiere bezahlen darf, gebe meine PIN ein, überprüfe den Betrag auf dem Kassenzettel doppelt und verlasse den Kassenbereich. Die Stasi-Kassiererin und der Securitysozialfall schauen mir grimmig nach. Ich beschließe in Zunkunft nur noch in Bar und bevorzugt bei der Konkurrenz einzukaufen.

Sonntag, 21. November 2010

Terror und Alkoholismus

„Lieber Gott, mach mich fromm, damit ich in den Himmel komm“. Wäre er Araber oder anderweitig verdächtig, hätte er „Allah hürütum, dschabu inschallah gaga“ und oder ähnlich gemurmelt und in Zeiten erhöhter Paranoia und weitreichender Terrorwarnungen definitiv für Unmut gesorgt. Oder Panik. So allerdings interessiert es keine Sau. Dennoch, der ältere Herr mit der Bierflasche in der Hand reißt mich aus meinen Gedanken. „Scheißdreck, Scheiße“. Er würgt, steht auf, rennt zur Tür, doch die Haltestelle ist noch fern. Er fängt sich. Noch ein Schluck aus der Pulle, er sucht das Gespräch. „Brauche frische Luft“. Weiterfahren. Es ist halb sieben, Freitag, er ist seit 17 Jahren Hertha-Fan und diese Saison ist die schlimmste für ihn. Ich mag ihn, er erinnert mich an jemanden, er könnte ein Freund der Familie sein. Kurz darauf verlässt er schwankend den Zug. In der vom Innenminister empfohlenen gelassenen Wachsamkeit überprüfe ich, ob er verdächtiges Gepäck zurückgelassen hat. Nicht einmal eine leere Bierflasche.